LIVERPOOL STREET
Autorin: Anne C. Voorhoeve
Erschienen im: Ravensburger Buchverlag
480 Seiten - Ab 14 Jahren

1938 Franziska Mangold, genannt Ziska ist ein elf Jahre altes jüdisches Mädchen. Warum sie jüdisch ist, weiß sie selber nicht so genau, schließlich ist sie evangelisch erzogen worden und auch ihre Eltern und Großeltern sind evangelisch. Den Nazis ist das egal. Für die ist sie einfach nur eine Jüdin und so verbringt sie ihre Freizeit meist damit, zusammen mit ihrer besten Freundin Bekka Fluchtpläne zu zeichnen.
Die Mangolds wollen nicht auswandern - sie glauben an Deutschland! Aber als Ziskas Vater verhaftet wird und die Familie ausziehen muss, wird Ziska mit einem Kindertransport nach England geschickt. Ihr Freundin Bekka bleibt zurück, obwohl sie sich schon vor Ziska angemeldet hat, gab es für sie keinen Platz.

1939 Die Familie dich sich bereit erklärt hatte, sie aufzunehmen, kommt nicht zum Bahnhof in der Liverpool Street und so muss Ziska vorläufig in ein Kinderheim. Sie ist verzweifelt! Schließlich hat sie versprochen auch für Bekka und ihre Eltern eine Möglichkeit, nach England zu kommen, zu finden. Aber das Heim darf sie nicht verlassen ­ ihre einzige Chance ist es, eine neue Pflegefamilie zu finden. Und nach ein paar Wochen ist es soweit: durch einen glücklichen Zufall hat sich eine Familie bereit erklärt Ziska aufzunehmen: die Shepards.

1939-1945 Bei den Shepards findet Ziska nicht nur einen Ort zum Überleben, sondern ein richtiges Zuhause! Und als allererstes einen Bruder, Gary, der ihr auch nach einer alten jüdischen Tradition, einen neuen Namen verleiht: Frances. Anfangs ist alles neu und ungewohnt für Frances. Sie kann nicht besonders gut Englisch und wird in der Schule ganze 4 Jahre zurückgestuft - und was für sie viel schlimmer ist, sie schafft es nicht ihre Eltern und Bekka nachzuholen! Auch dass sie in einer orthodoxen Familie gelandet ist, verwirrt Frances. Hier in England lernt sie, was es wirklich bedeutet Jüdin zu sein und sie wird es ihr Leben lang nicht vergessen!
Mit der Zeit wird es immer einfacher für Frances: ihre Pflegemutter Amanda lernt mit ihr Englisch und ihre Eltern flüchten nach Holland wo sie zumindest zeitweise in Sicherheit sind. Nach und nach findet Frances echte Freunde und adoptiert sich sogar einen Großvater.
Als die englischen Kinder wegen dem nahenden Krieg aufs Land verschickt werden, merkt Frances das erste Mal wie viel ihr ihre Pflegeeltern bedeuten und noch bevor der Krieg vorbei ist, nennt sie Amanda Mum.

1945 Der Krieg ist vorbei und Frances kann endlich ihre Mutter wieder sehen. Doch sieben Jahre sind eine lange Zeit. Eine Zeit die sie mit den Shepards verbracht hat. Sie ist jetzt Frances, eine junge Frau mit einer neuen Familie ­ und nicht mehr Ziska. Und sie muss eine Entscheidung treffen, die ihr ganzes weiteres Leben beeinflussen wird.
“Lass uns in den Garten gehen. Die Sonne scheint und Mum hat bestimmt den Tee fertig." “So nennst du sie ... Mum?" Ich errötete. “Es hat nichts mit Mama zu tun", begann ich, aber Onkel Erik schüttelte den Kopf. “Schon gut. Es sind mehr als fünf Jahre. Auch du musstest überleben, nicht wahr?" Erschrocken sah ich ihn an. Erschrocken, dass er verstand.


“Liverpool Street" ist ein wunderbarer Roman, der das Leben und Überleben im Krieg beschreibt. Bevor ich das Buch gelesen habe, hatte ich natürlich schon von Kindertransporten gehört und auch mit Überlebenden gesprochen, aber trotzdem hatte ich nie zuvor ein so genaues Bild wie es gewesen sein muss! Frances, oder Ziska, hatte ausgesprochenes Glück mit ihrer neuen Familie, vielen anderen ging es nicht so gut und trotzdem hatte auch sie es nicht leicht. Ständig musste sie mit dem Konflikt leben, dass sie auch ihre neue Mutter liebt und ob das nicht ein Verrat an ihrer richtigen Mutter ist. Doch wer ist ihre richtige Mutter? Die die sie geboren hat oder die bei der sie die letzten sieben Jahre gelebt hat? Lieben tut sie sie Beide.
Anne Voorhove schreibt aber nicht nur über das Familienleben, sondern auch über den normalen Kriegsalltag in England. Wie geflüchtete Juden in Sammellager gesperrt wurden, weil sie ja “Deutsche" sind.
“Liverpool Street" ist ein gleichzeitig wunderschön und tief traurig. Es ist seit langem das erste Buch bei dem ich geweint habe und dass ist bei mir immer ein Zeichen für ein wirklich gutes Buch. Wenn dich eine Autorin zum Weinen bringt, dann bringt sie dich auch zum Lachen, zum Mitfiebern, zum Mitleben. Anne Voorhoeve hat mit diesem Buch bewiesen, dass sie eine außergewöhnlich gute Schriftstellerin ist!

Diese Buchbesprechung stammt von Lilly, 15 aus Wien Jänner 2008)